Ein Erklärungsversuch im historischen Kontext
Der Begriff Relativitätstheorie umfasst eigentlich zwei Theorien. Die erste Theorie nannte Einstein anfangs das Relativitätsprinzip, später bezeichnete er sie als Spezielle Relativitätstheorie. Sie vergleicht die Erfahrungen von Beobachtern, die sich zueinander gleichförmig, also geradlinig und mit konstanter Geschwindigkeit bewegen. Die Spezielle Relativitätstheorie entstand in Einsteins Wunderjahr 1905 und beinhaltet die weltberühmte Formel E = mc². Die zweite Theorie die Allgemeine Relativitätstheorie untersucht alle möglichen relativen Bewegungen, also auch kurvenförmige und mit nicht konstanter Geschwindigkeit verlaufende Bewegungen. Die wichtigste beschleunigte Bewegung, die mit der Allgemeinen Relativitätstheorie beschrieben werden kann, ist die Schwerkraft.
Es gibt zwei Hürden, die einem besseren Verständnis beider Theorien im Wege stehen: die Sprache und die Alltagserfahrung. Einsteins Theorien lassen sich scheinbar allgemein verständlich formulieren. Nehmen wir einen Begriff aus der Allgemeinen Relativitätstheorie: den gekrümmten Raum. Ein problemlos in Alltagssprache ausgedrücktes Bild. Jeder weiß, was Raum bedeutet und jeder weiß auch, was eine Krümmung ist, aber versteht man, was ein gekrümmter Raum ist? Die Sprache suggeriert Klarheit, tatsächlich erzeugt sie Rätsel. Dazu kommt noch die Alltagserfahrung. Sie steht oft in eklatantem Widerspruch zur Relativitätstheorie. Ein Beispiel: Ein auf einem Bahnsteig stehender Beobachter sieht einen vorbei fahrenden Zug, in dem ein Fahrgast in Fahrtrichtung läuft. Der Beobachter auf dem Bahnsteig nimmt die Geschwindigkeit des im Zug laufenden Fahrgastes als die Addition der Geschwindigkeit des Zuges und seiner Laufgeschwindigkeit wahr. Jeder weiß, dass Geschwindigkeiten addiert oder subtrahiert werden können. Und jeder weiß, was Licht bedeutet. Aber für das Verständnis der Lichtgeschwindigkeit ist diese Alltagserfahrung untauglich. Wenn Sprache und Alltagserfahrung nicht ohne weiteres geeignet sind, die Relativitätstheorie zu vermitteln, wie soll man sie verständlich machen? Lässt sich die Theorie dann für einen Laien überhaupt erklären? Die Hürden lassen sich umgehen – obgleich nicht perfekt -, wenn die Relativitätstheorie in ihren historischen Kontext eingebettet wird. Die Sprache knüpft dann an historisches Wissen statt Alltagswissen an, und die trügerische Alltagserfahrung wird durch einen historischen Forschungskontext ersetzt. So versteht man auch, dass Einsteins Theorie nicht aus dem Nichts entstand, sondern aus einer dringenden Notwendigkeit. Sie war der Ausweg aus tiefen Widersprüchen zwischen der klassischen Mechanik und der neuen Theorie über Radiowellen. Wie sahen diese Widersprüche aus? Sie lassen sich am besten an einem kurzen historischen Abriss der Physik deutlich machen. Hierzu drei Momentaufnahmen.
Kurzer historischer Rückblick: Die Welt der Physik im 19. Jahrhundert
Wir schreiben das Jahr 1850. Die mechanische Erklärung der Welt ist gerade auf dem Gipfel ihres Wissens angelangt. In der Physik, der Astronomie und der Chemie scheint es nichts Mysteriöses oder Unerklärliches mehr zu geben. Alles lässt sich durch exaktes Messen sichtbarer oder unsichtbarer, sich bewegender Körper erklären. Mit den Gesetzen der Mechanik und dem eisernen Prinzip von Ursache und Wirkung können alle Naturerscheinungen berechnet und vorhergesagt werden zumindest im Prinzip. Die Umlaufbahnen der Planeten sind mit Isaac Newtons allgemeinem Gravitationsgesetz wunderbar zu beschreiben. Geringe Abweichungen zwischen Theorie und Wahrnehmung sind mit Störungsrechnungen auszugleichen. Sie verlangen geschicktes Puzzeln, aber keine grundlegend neue Theorie. Die Elektrizität hat gerade viel von ihren Rätseln preisgegeben. Und sogar das Verhältnis zwischen Wärme, Druck, Volumen und dem schwer greifbaren Begriff der inneren Energie wurde soeben aufgeschlüsselt.
Fünfundzwanzig Jahre später, 1875. Es gelingt dem schottischen Physiker James Clerk Maxwell zu beweisen, dass zwei scheinbar völlig unzusammenhängende Phänomene, Elektrizität und Magnetismus, demselben Grundprinzip entsprechen. Beide sind Formen von Elektromagnetismus. Maxwell stellt ein mechanisches Modell auf, in dem alle elektrischen und magnetischen Kräfte mit nur vier Formeln beschrieben werden können. Er erreicht damit eine einheitliche Erklärung elektrischer, magnetischer und optischer Phänomene.
Die neue Theorie besagt, dass elektrische Ladungen und Ströme Felder erzeugen und dass es, wo immer elektrische Ladungen beschleunigt oder abgebremst werden, Wellen geben muss. Diese Wellen die elektromagnetische Strahlung bewegen sich mit einer hohen Geschwindigkeit durch den Raum. Sie verbreiten sich in einem unsichtbaren Trägermedium, dem so genannten Äther. Auch Licht ist als elektromagnetische Strahlung zu betrachten. Erst nach Maxwells Tod gelingt es, elektromagnetische Wellen zu erzeugen. Seither basieren alle Radios, Fernseher, Mobiltelefone und Fernbedienungen auf den Maxwellschen Gleichungen.
Wieder ein Vierteljahrhundert später, um 1900 herum: Jetzt sieht die Situation plötzlich anders aus. Es sind viele offene Fragen, Paradoxa und Probleme aufgetaucht. Die Situation ist so ernst, dass manche meinen, das ganze mechanische Modell der Natur müsse komplett aufgegeben werden. Wieso bewegt sich gerade Merkur, der sonnennächste Planet, nicht ganz nach den Regeln der Newtonschen Gesetze? Warum weiß keiner so recht, wie groß Atome sind und wie sie die Energiemenge bestimmen, mit der ein Gegenstand um ein Grad erwärmt wird? Warum bewegen sich geladene Teilchen unter dem Einfluss elektromagnetischer Felder ganz anders als die Bewegungsgesetze der Mechanik es vorschreiben? Was ist eigentlich dieser mysteriöse Äther, und wieso transportiert er elektromagnetische Wellen?
Vor allem die gerade entdeckten radioaktiven Strahlen und auch die Röntgenstrahlen lassen sich nur noch bedingt mit Hilfe der mechanischen Gesetzmäßigkeiten erklären. Die meisten Teilchen haben eine Eigenschaft, die man elektrische Ladung nennt. Die negativ geladenen Teilchen, die Elektronen, sind besonders schwer mit den alten Naturgesetzen zu beschreiben. Sobald sie sich in einem elektromagnetischen Feld bewegen, führt die geringe Trägheit der Elektronen und ihre extrem große Geschwindigkeit dazu, dass ihre Flugbahnen große Abweichungen zeigen im Vergleich zu den mit den herkömmlichen mechanischen Gesetzen ausgerechneten.
In kurzer Zeit wird eine Hilfshypothese nach der anderen eingeführt, damit die Rätselerscheinungen in Astronomie, Chemie und Physik ihre mechanische Erklärung behalten können: Bestimmt gibt es noch einen unbekannten Planeten, dessen Anziehungskraft die Umlaufbahn von Merkur beeinflusst er wird schon mal Vulkanus getauft. Atome sind sicherlich nur mathematische Hilfskonstruktionen und gar nicht real. Und Elektronen bewegen sich bestimmt nur so merkwürdig, weil sie im Äther auf eine Art Luftwiderstand stoßen. Einstein findet die neuen Ad-hoc-Erklärungen unbefriedigend und hält es für unabdingbar, die tiefen Widersprüche zwischen Newtonscher Mechanik und Maxwellscher Lehre aufzuheben. Dazu stellt er erst seine Spezielle Relativitätstheorie auf. Später wird er feststellen, dass diese Theorie mit einem wichtigen Baustein des Newtonschen Weltbilds der Gravitation nicht verträglich ist. Erst mit der Allgemeinen Relativitätstheorie gelingt es Einstein, die Schwerkraft mit einzubeziehen.
Die Spezielle Relativitätstheorie
Wie sieht Einsteins gedanklicher Weg aus? Wo fängt er an? Was sind seine Grundvoraussetzungen? Welche Probleme hat er zu lösen? Zunächst setzt Einstein am Kernstück der modernen Physik an, der Theorie von Maxwell. Mit nur vier mathematischen Gleichungen erklärt sie alle Wechselwirkungen zwischen Ladungen und Strömen, und zwischen elektrischen und magnetischen Feldern. Maxwells Gleichungen sind noch niemals experimentell widerlegt worden. Auch Einstein ist fest davon überzeugt, dass sie richtig sind, weil sie von umwerfender logischer Schönheit sind. Wenn aber die Maxwellschen Gleichungen richtig sind, sich aber elektrisch geladene Teilchen dennoch in rätselhafter Weise in einem elektrischen Feld bewegen, dann kann irgend etwas anderes nicht stimmen. Wo also liegt das Problem?
Zahlreiche Experimente hatten gezeigt, dass sich elektrische und magnetische Kräfte nicht als Kräfte beschreiben lassen, die wie in der Newtonschen Mechanik direkt von einem zum anderen Punkt wirken. Stattdessen wurde angenommen, dass die Ursache aller elektrischen und magnetischen Phänomene in einem alles umgebenden Medium lag in eben jenem mysteriösen Äther. Der Äther unterscheidet sich in vielen Punkten von gewöhnlicher Materie. Er ist unendlich groß und füllt somit den gesamten Raum des Universums. Sogar alle Körper werden von der unsichtbaren Substanz durchdrungen. Auf Materie wirkt der Äther nur durch elektrische und magnetische Kräfte. Als Einstein sich über den Äther Gedanken macht, knüpft er an die Theorie eines Mannes an, von dem er später sagen wird, dass er keinen größeren und nobleren Menschen kenne. Gemeint ist Hendrik Antoon Lorentz (1853-1928), ein niederländischer Physiker, der essenzielle Verfeinerungen an Maxwells elektromagnetischer Feldtheorie durchführte. Lorentz definierte den Äther als ein absolut ruhendes Trägermedium. Wenn aber der Äther ruht und die Erde sich durch den Äther bewegt, dann müsste man doch feststellen können, ob sich die Erde von einer Lichtquelle weg oder darauf zubewege: Im ersten Fall müsste sich eine niedrigere Lichtgeschwindigkeit, im zweiten eine höhere ergeben. Das ist so, als würde man bei schnellem Laufen in unbewegter Luft seinen eigenen Gegenwind erzeugen; die Bewegung der Erde erzeugt dann ihren eigenen Ätherwind im dünnen Äthermeer.
In einem berühmten Experiment der amerikanischen Physiker Albert Abraham Michelson (1852-1931) und Edward Williams Morley (1838-1923) wurde 1887 aber etwas Merkwürdiges beobachtet: Auch wenn man die Bewegung der Erde berücksichtigt, ist die Lichtgeschwindigkeit immer die gleiche. Einstein war der Erste, der das Problem aus einem völlig neuen Blickwinkel betrachtete. Auch wenn er für das Experiment von Michelson und Morley anfangs nur wenig Interesse zeigte, sein Ausgangspunkt war ein ähnliches Paradoxon in der Theorie der elektromagnetischen Wellen. Darum machte er sich grundlegende Gedanken über Raum und Zeit. Und er schaffte dabei einen gewaltigen gedanklichen Sprung. Er fragte sich, ob wir unsere eigene Wahrnehmung überhaupt auf ein Gebiet übertragen können, auf dem wir keinerlei eigene Erfahrung haben und wo sich Körper fast mit Lichtgeschwindigkeit durch den Raum bewegen? Müssen wir dann noch wissen, was Raum und Zeit eigentlich sind?
Seit Newton existiert die Vorstellung, dass der Raum im Universum eine Art gigantischer Behälter aller Dinge ist, in dem sich eine Uhr befindet, deren Lauf die absolute Zeit angibt. Sie ist für alle Objekte und Orte gleich. Eine Sekunde ist für einen still stehenden Beobachter genauso lang wie für ein sich mit nahezu Lichtgeschwindigkeit bewegendes Teilchen. Ein Meter ist für den Beobachter in Ruhe genauso weit wie für das eilende Elektron. Einstein wagt es, diese Vorstellungen von Raum und Zeit, die bislang als vollkommen selbstverständlich akzeptiert wurden, in Frage zu stellen.
Das Wunderjahr 1905
1905 ist es dann so weit: Er verkündet, Raum und Zeit seien nicht überall gleich, sondern variierten abhängig von der Bewegung des Beobachters. Wie kommt er zu diesen revolutionären Ideen? Zum Beweis seiner Gedanken stellt er zwei Prinzipien auf: erstens das Relativitätsprinzip und zweitens den gleich bleibenden Wert der Lichtgeschwindigkeit.
Das Relativitätsprinzip an sich ist nicht neu. Es gilt auch für die Newtonsche Mechanik. Schon Galileo Galilei (1564-1642) wusste, dass die mechanischen Gesetze für ein geradlinig bewegtes System genauso gültig sind wie für ein System, das sich im Ruhezustand befindet. Das lehrt auch die Alltagserfahrung: Wenn ein Zug konstant mit 100 km/h fährt, dann können wir uns in ihm ebenso bewegen, als wenn der Zug stillstünde. Für den Zugreisenden ist der Zug das Bezugssystem. Das Prinzip ist einfach und logisch. Es gilt für alle mechanischen Situationen, die wir aus dem Alltag kennen. Warum muss Einstein es dennoch als neues Prinzip einführen? Das Problem ist, dass das altbewährte Relativitätsprinzip für elektromagnetische Phänomene nicht zu gelten scheint. In einem Stromdraht, den man mit einer konstanten Geschwindigkeit an einem ruhenden Magneten vorbeiführt, scheint etwas anderes zu geschehen, als wenn man die gleiche Situation nur umdreht und den Magneten an einem ruhenden Stromdraht vorbeiführt. In der Elektrodynamik scheinen also die physikalischen Gesetze nicht die gleiche Gültigkeit zu haben wie in der Mechanik!
Das Relativitätsprinzip aus der klassischen Mechanik widerspricht den Gesetzen der Elektrodynamik so grundlegend, dass man zu Einsteins Zeit dazu neigte, eine Konsolidierung der Widersprüche ganz aufzugeben. Einstein aber gab nicht auf, sondern verallgemeinerte noch einmal und formuliert ein neues, universales Relativitätsprinzip: Die Naturgesetze sind unabhängig vom Bewegungszustand des Bezugskörpers. Das Prinzip kann aber nur stimmen, wenn man einen gewaltigen Gedankensprung macht: Die konventionellen Vorstellungen von Raum und Zeit müssen aufgegeben werden. Um die Maxwellsche Theorie und die klassischen mechanischen Gesetze vereinen zu können, muss man die Grundvorstellungen von Raum und Zeit verändern: Zuerst gilt es, die Idee von einem überall gleichen Raum/Äther aufzugeben. Stattdessen wird der absolute Raum durch einen relativen, von den Bewegungen des Beobachters abhängigen Raum ersetzt. Ebenso wird die absolute Zeit durch eine zur Bewegung des Beobachters relativen Zeit ersetzt. Zeit und Raum sind also keine festen Größen, sondern relativ zu der Geschwindigkeit, mit der sich ein Beobachter bewegt.
Wenn sich zwei Beobachter relativ zueinander bewegen, dann kann der eine zwei Ereignisse als gleichzeitig wahrnehmen, während der andere Beobachter sie als zeitversetzt registriert. Auch finden für beide Beobachter die Ereignisse auf unterschiedliche Positionen statt aufgrund ihrer unterschiedlichen Bezugssysteme in der Raumzeit. Diese Effekte treten nicht erst bei einer hohen Geschwindigkeit auf, sie sind auch bei niedriger Geschwindigkeit schon gegeben. Nur sind die Effekte so gering, dass sie im Alltag mit gutem Gewissen vernachlässigt werden können. Zum Glück, denn kein gesunder Menschenverstand könnte diese merkwürdige Erscheinung im Alltagsleben aushalten. Hier wird klar, wie enorm abstrakt Einsteins Denken eigentlich ist. Im Alltag von 1905 haben nur die besten Physiker eine Vorstellung von dem, was Teilchen oder elektromagnetische Strahlungen sind. Patienten werden in einem Krankenhaus noch nicht routinemäßig mit unsichtbaren Teilchen durchleuchtet, so wie heute in der Röntgen-Abteilung. Fernseher oder Mobiltelefone gibt es nicht. Das Allgemeinwissen über die Struktur von Atomen ist ungefähr so groß wie das Wissen über das Leben auf dem Mars. Und hier kommt ein 26-jähriger Physiker, der anfängt, nicht nur über unsichtbare Teilchen, sondern auch über das grundlegende Verständnis von Raum und Zeit zu spekulieren! Aus Einsteins Gedanken über Raum und Zeit folgte schon bald, dass Raum und Zeit als Einheit zu verstehen sind. Später wurde das die Raumzeit genannt. In der Raumzeit werden Raum und Zeit zu einem einheitlichen vierdimensionalen Gebilde verschmolzen. Die räumlichen und zeitlichen Koordinaten können bei einer Transformation in unterschiedliche Bezugssysteme miteinander vermischt werden. Aufgrund ihrer unterschiedlichen Bezugssysteme in der Raumzeit nehmen zwei Beobachter, die sich relativ zueinander bewegen, ein und dasselbe Ereignis nicht nur zu verschiedenen Zeitpunkten wahr, sondern auch von unterschiedlichen Positionen aus.
Die Lichtgeschwindigkeit
Aus den grundlegenden, abstrakten Gedanken über Raum und Zeit geht noch eine Idee hervor: die des gleichbleibenden Werts der Lichtgeschwindigkeit. Die konstante Lichtgeschwindigkeit ist, wenn man es genau betrachtet, bereits in Einsteins ersten Gedanken über die Raum-Zeit vorhanden, aber es ist gut sie noch einmal gesondert zu betonen. Die konstante Lichtgeschwindigkeit ersetzt nämlich jetzt Raum und Zeit als Maßeinheit des Universums. Raum und Zeit sind variabel. Die Lichtgeschwindigkeit aber ist von jedem Beobachter aus betrachtet gleich, auch wenn dieser Beobachter sich sehr schnell bewegt.
Wie schnell ist sie denn, die Lichtgeschwindigkeit? Zu Einsteins Zeiten war das schon längst bekannt. Seit dem 17. Jahrhundert wusste man bereits aus astronomischen Beobachtungen, dass Licht sich etwa mit 300.000 Kilometern pro Sekunde ausbreitet. Was man nicht wusste, war, dass die Lichtgeschwindigkeit für jeden sich bewegenden Beobachter gleich sein muss. Und dass sich nichts schneller bewegen kann als das Licht. Das Alltagswissen sagt, dass Geschwindigkeiten sich addieren und subtrahieren. Einstein sagt dagegen, dass die Lichtgeschwindigkeit immer die gleiche ist, auch wenn man sie von einem Beobachtungspunkt aus misst, der sich fast mit der Lichtgeschwindigkeit bewegt.
Diese beiden Ideen das Relativitätsprinzip und die konstante Lichtgeschwindigkeit führen zu sehr interessanten Schlussfolgerungen, wie Einstein im Herbst 1905 aufgeregt an die Annalen der Physik schreibt. Die Schlussfolgerungen ergeben sich aus all dem, was Einstein in seinem ersten Aufsatz über das Relativitätsprinzip veröffentlicht hat.
Die Energie
Wenige Monate später kommt ihm ein grundlegender Einfall zum Begriff Energie: Wenn Raum und Zeit zu ihrem Bezugspunkt relativ variabel sind und die Lichtgeschwindigkeit immer gleich ist, und wenn außerdem gilt, dass Energie erhalten bleibt, dann heißt das auch, dass die Masse eines Körpers wie in der Newtonschen Mechanik angenommen nicht konstant sein kann. Einsteins neue Theorie besagt, dass die Masse eines Körpers bei Beschleunigung zunimmt. So viel war in dem ersten Artikel über das Prinzip der Relativität bereits gezeigt worden. Aber was impliziert dieser Gedanke? Das hieße doch, dass man der Masse in den Bewegungsgesetzen Newtons eine Art Umrechnungsfaktor hinzufügen muss. Für Geschwindigkeiten, die im Vergleich zur Lichtgeschwindigkeit klein sind, ist der Einfluss dieses Umrechnungsfaktors so gering, dass man ihn vernachlässigen kann. Je mehr man sich der Lichtgeschwindigkeit annähert, desto mehr Einfluss hat sie. Die Masse ist nämlich abhängig von der Geschwindigkeit, also von der zugeführten Energie. Und das bedeutet: Masse und Energie sind wesensgleich! Aus den Details der relativistischen Rechnung folgt, dass Bewegungsenergie und Masse direkt proportional und damit äquivalent sind.
Diese Idee wird zum berühmtesten Gedanken der Physik: Die Masse eines Körpers ist ein Maß für dessen Energiegehalt. Da Energie jedoch zum Beispiel in Kilowattstunden, Masse aber in Kilogramm gemessen wird, braucht man einen Umrechnungsfaktor. Energie ist dann gleich Masse mal Umrechnungsfaktor. Dank Einstein wissen wir, dass dieser Umrechnungsfaktor genau dem Quadrat der Lichtgeschwindigkeit entsprechen muss. Energie (E) ist gleich Masse (m) mal Lichtgeschwindigkeit im Quadrat (c²): E = mc².
Soweit die Spezielle Relativitätstheorie. Sie bringt Einstein große Anerkennung und Ehrung. Die Physik hat einen neuen Höhepunkt im Verständnis der Natur erreicht. Die Spezielle Relativitätstheorie ist in sich schlüssig. 1907 entdeckt Einstein aber, dass sich eine einzige Naturkraft nicht in sie einfügen lässt: die Schwerkraft. Die Schwerkraft wirkt im Newtonschen Modell überall ohne Zeitverzögerung. Wenn aber nichts schneller als die Lichtgeschwindigkeit sein kann, wie kann die Gravitationskraft dann überall im Universum unmittelbar wirksam sein? Außerdem ist die Stärke der Schwerkraft in der Newtonschen Mechanik abhängig von der Masse eines Körpers und dem Abstand zu diesem. Die Spezielle Relativitätstheorie besagt jedoch, dass der Abstand nicht absolut messbar ist, da es beobachterabhängige Abstände gibt. Hinzu kommt, dass die Spezielle Relativitätstheorie nur etwas über Körper aussagt, die sich relativ zu einem unbeschleunigten Bezugssystem bewegen. Darum heißt die Theorie auch Spezielle Relativitätstheorie. Aber irgendwie wirkt diese Annahme künstlich, weil sich viele Situationen ergeben, in denen sich ein Beobachter bewegt. Die Gravitation ist als eine beschleunigende Kraft zu verstehen, und das Schwierige ist, dass sie sich nicht auf ein großes, beschleunigtes Bezugssystem zurückführen lässt.
Es geht jetzt um viel mehr als die Beschreibung der Bewegungsdynamik von Körpern, die sich mit hoher Geschwindigkeit bewegen. Auf dem Spiel steht das Verständnis von Raum, Zeit und Gravitation unter Berücksichtigung der Prinzipien der Speziellen Relativitätstheorie. Von Raum und Zeit dachte Einstein eigentlich, er hätte sie schon in der Speziellen Relativitätstheorie verstanden. Jetzt aber geht es zusätzlich darum, dass man von den einfachen Raumzeiten der Speziellen Relativitätstheorie zu komplizierteren Geometrien übergehen muss.
Wie ist das zu meistern? Das Problem scheint unlösbar, die erforderliche Mathematik ist äußerst kompliziert. Der mathematische und auch der experimentelle Beweis für die Allgemeine Relativitätstheorie sind so kompliziert, dass Einstein gelegentlich glaubt, sie nie erbringen zu können. Einstein braucht fast zehn Jahre, um diese Gedanken zu einer theoretischen Einheit zusammenzufassen.
Die Allgemeine Relativitätstheorie
1915 findet Einstein endlich eine Lösung: Die Gravitationskraft ist eine Verformung der Raumzeit. Nicht so sehr die Entwicklung des Konzepts dauerte so lang, sondern die Ausarbeitung der mathematisch komplizierten Feldgleichungen. Die Erde kreist nicht deshalb um die Sonne, weil diese eine Anziehungskraft ausübt, sondern weil die Masse der Sonne das Gebilde der Raumzeit um sie herum verzerrt. Das lässt sich folgendermaßen veranschaulichen: Würde man auf der Erde immer geradeaus gehen, käme man auch wieder am Ausgangspunkt an. Das ist so, weil die Oberfläche gekrümmt und nicht eben ist. Ebenso ist der Einfluss der Gravitation zu verstehen: ein Körper fällt nicht beschleunigt, weil die Schwerkraft auf ihn wirkt, sondern weil er sich gerade in einer verzerrten Raumzeit bewegt. Die Veränderung der Raumzeit ist die Gravitation. Das ist bei jedem Stern und jedem Körper im Universum so, und es erklärt, warum die Gravitationskraft im ganzen Universum wirksam ist.
Die Abweichungen zu den Newtonschen Gesetzen sind, wenn man unser Planetensystem betrachtet, minimal. Zwei Experimente haben sich historisch als ausschlaggebend erwiesen: Die Abweichungen des Planeten Merkur sind nur mit der Allgemeinen Relativitätstheorie zu erklären. Nur mit ihrer Hilfe kann erklärt werden, warum Sternenlicht viel mehr von der Sonne abgebogen wird, als es nach der Newtonschen Gravitationstheorie mit allerlei Hilfskonstruktionen zu errechnen wäre. Dass aus der Gravitationstheorie zwangsläufig folgt, dass sich Licht in einem Gravitationsfeld abbiegt, ist erst in Einsteins Theorie erklärt.
Einstein ist 37 Jahre alt, als er seine Allgemeine Relativitätstheorie vorstellt. Sie sei, so sagt er, der glücklichste Gedanke meines Lebens und sie soll zu einem der bedeutendsten Pfeiler der modernen Physik werden.
Alles ist relativ oder: was die Relativitätstheorie NICHT sagt
Einstein wird nicht nur zum berühmtesten Physiker der Welt, seine Relativitätstheorie ist auch bald in aller Munde und damit sagt sie oft etwas ganz anderes aus, als Einstein jemals im Sinn hatte. So kennt jeder den Spruch: Alles ist relativ! Interpretiert wird dieser wie folgt: Die Relativitätstheorie hat es bewiesen man kann nichts sicher wissen! Die naturwissenschaftliche Erklärung der Welt ist auch nur eine Auffassung unter vielen, und wenn das so ist, gibt es natürlich auch keine absoluten Werte. Was falsch und richtig ist, das hängt dann ganz vom Beobachter, von den Umständen und der Situation ab.
Eine weitere Interpretation, die oft zu hören ist: Alles ist mit allem verbunden! Auch dafür muss die Relativitätstheorie herhalten: Das Universum ist ein großes Raum-Zeit-Kontinuum, in dem alles mit allem in Verbindung steht das Universum als erweitertes Bewusstsein. Deshalb muss die westliche Forschung ganzheitlich werden, anstatt nur auf Details zu schauen. Diese Erklärungen gehen an Einsteins Ideen vorbei, denn die Relativitätstheorie sagt nichts darüber aus, ob es eine absolute Wahrheit gibt, und auch nichts über ethische oder spirituelle Fragen. Die Spezielle Relativitätstheorie bezieht sich auf alle Körper in Bewegung. Sobald diese Körper sich mit so einer hohen Geschwindigkeit bewegen, dass diese im Vergleich zur Lichtgeschwindigkeit nicht mehr vernachlässigbar klein ist, weicht die Theorie vom Newtonschen Pendant ab. Das Besondere an der Speziellen Relativitätstheorie ist, dass sie die ganze Physik betrifft. Sie verlangt, dass alle anderen Modelle, in denen Raum und Zeit eine Rolle spielen, auf die neuen Grundlagen gestellt werden. Daher auch Einsteins eigene Bemühungen darum, eine relativistische Variante der Gravitation in der Allgemeinen Relativitätstheorie zu finden.
Die Allgemeine Relativitätstheorie selbst bietet eine neue Erklärung dafür, wie Gravitation zu verstehen ist. Sie macht revolutionäre neue Vorhersagen möglich und ist also mehr als nur eine neue Interpretation der Natur.