Albert Einstein – Der Wissenschaftler und Visionär
Der Einfluss des großen Physikers auf das Leben von heute
Warum sehen wir von der Erde aus, dass das Licht eines weit entfernten Sterns von der Sonne verbogen wird? Wieso bewegen sich die kleinsten Partikel der unbelebten Materie ganz unregelmäßig in einer Suspension? Diese und andere Fragen der Astronomie und Physik wären ohne Einsteins Theorien nicht zu beantworten. Aber auch viele technische Errungenschaften, die wir heute wie selbstverständlich nutzen, wären ohne Einstein nicht möglich gewesen. Das erscheint zunächst verwunderlich, denn Einstein verfasste seine bedeutendsten Aufsätze nicht, um damit praktischen Nutzen oder persönlichen Gewinn zu erzielen. Einsteins Theorien waren abstrakt: Die Arbeiten über die Spezielle und Allgemeine Relativitätstheorie waren zudem zunächst rein spekulativ und philosophischer Natur. Trotzdem wären ohne Einstein viele praktische Erfindungen unserer Zeit unmöglich geblieben: ob CD-Player, Fernseher, Atomstrom oder Solarenergie.
Dass Einsteins physikalische Spekulationen und seine Ideen über Raum und Zeit so viel Revolutionäres für den Alltag bewirkt haben, ist der beste Beweis dafür, wie wichtig theoretische Forschung und abstraktes Denken für eine hoch industrialisierte Gesellschaft sind. Ziel der theoretischen Forschung wie auch der Grundlagenforschung ist es, unser Wissen über die Natur zu erweitern. Die theoretische Forschung versucht, komplexe Naturerscheinungen in relativ einfachen Formeln und Symbolen zu erfassen. Diese Formalismen bilden das theoretische Modell eines Teilbereichs der Wirklichkeit, mit deren Hilfe man die Ergebnisse von bereits vorhandenen Experimenten erklären und neue Ergebnisse vorhersagen kann. Einstein nannte diese physikalischen Modelle auch „konstruktive Theorien“.
Die Grundlagenforschung ist die wissenschaftliche Aufstellung, Nachprüfung und Diskussion der Prinzipien einer Wissenschaft, die Basis für jegliche weitergehende Forschung ist. Einstein nannte sie auch „Prinzipientheorie“. Er meinte, dass man mit ihr die „allgemeinen Eigenschaften der Naturvorgänge“ bilden könne. Die Relativitätstheorie gehört zu den Prinzipientheorien. Anders als bei der Anwendungsforschung und der Industrieforschung – deren Ziel es ist, ein bestimmtes technisches Problem zu lösen oder etwas Nützliches zu erfinden – geht es bei der theoretischen Forschung und bei der Grundlagenforschung darum, neue, allgemein nachprüfbare Erkenntnisse über die Natur zu finden. Es ist oftmals die reine intellektuelle Neugierde, die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dazu antreibt.
Wozu ist die Grundlagenforschung dann gut? Was nützt es uns zu wissen, wieso Sternenlicht von der Sonne abgebogen wird? Welche Vorteile bringt es, dass wir jetzt, dank der Relativitätstheorie, ausrechnen können, welche Kurven unsichtbare Teilchen in elektromagnetischen Feldern zurücklegen?
Die Relativitätstheorie war jahrzehntelang eine abstrakte Naturphilosophie und dennoch hat sie mehr bahnbrechende Veränderungen bewirkt als manche Theorie oder praktische Erfindung zuvor. Grundlagenforschung ist wichtig, weil sie zu neuen Erkenntnissen führt. Und sie kann – manchmal erst nach zehn, fünfzig oder hundert Jahren – zu ganz unvorhergesehenen und überraschenden Anwendungen führen. Werner von Siemens hat vor mehr als hundert Jahren einen wichtigen Grund für die Bedeutung von Wissenschaft und Forschung genannt. Er war davon überzeugt, dass die naturwissenschaftliche Forschung notwendig ist, weil sie einen sicheren Boden für den technischen Fortschritt bildet. „Die Industrie eines Landes“, schrieb Siemens 1883, „wird niemals eine internationale, leitende Stellung erwerben und sich halten können, wenn das Land nicht gleichzeitig an der Spitze des naturwissenschaftlichen Fortschritts steht.“
Als Albert Einstein 1932 gebeten wurde zu beschreiben, was das Formulieren der Relativitätstheorie ermöglicht habe, antwortete er, dass er als Wissenschaftler seine Belohnung in der Freude am Verstehen gefunden habe und nicht in einer möglichen Anwendung dessen, dem er gerade auf der Spur war. Oft betonte er in Schriften und Vorträgen, dass es der Drang zu verstehen und die Freude an der intellektuellen Arbeit sei, die den Menschen erheben und bereichern.
Wie würde die Welt ohne Einsteins Formeln und Werke aussehen?
Die Welt ohne Fernsehen
Durch die Erkenntnisse der Relativitätstheorie empfangen wir heute im Fernsehen ein scharfes Bild: In einem Fernseher werden Elektronen mit über zwanzigtausend Volt beschleunigt. Laut Relativitätstheorie nimmt die Masse der Elektronen dabei messbar zu. Berücksichtigte man diese Massenzunahme nicht, so würden die Elektronen auf einem Bildschirm Abweichungen im Millimeterbereich zeigen. Die Folge: Alle Bilder wären verschwommen.
Die Welt ohne Atombombe und Atomstrom
1905 schreibt Einstein eine Arbeit über die Brown’sche Bewegung. Er legt damit eine Erklärung für die unregelmäßige Bewegung von Teilchen in einer Suspension vor. Die Teilchen haben einen Radius von einem tausendstel Millimeter oder weniger. Diese Theorie ist eine der wichtigsten Bestätigungen des Vorhandenseins von Molekülen. Moleküle bestehen aus mindestens zwei zusammenhängenden Atomen. Einstein beweist damit, dass Atome nicht nur eine theoretische Annahme sind – wie bisher oft angenommen –, sondern real existieren. In der Speziellen Relativitätstheorie wird er später beweisen, dass die Masse der Atome und deren Energie vollständig äquivalent sind (E = mc²). Er legt damit das theoretische Grundgerüst für die gesamte Atomphysik. Dass Masse und Energie wesensgleich sind, wird wohl am stärksten sichtbar in Atombomben, aber auch bei der Erzeugung von Atomstrom.
Die Welt ohne Kunststoff
Einstein kombiniert Techniken der klassischen Hydrodynamik mit der Theorie der Diffusion. Es entsteht eine neue Methode zur Bestimmung der Molekülgröße und der Avogadro’schen Zahl. Die Arbeit, die ebenfalls im Wunderjahr 1905 entsteht, gehört heute zu den meistzitierten Arbeiten in der Physik überhaupt. Ohne sie wäre die Welt zwischen Gas und Festkörper kein logisches einheitliches Gedankensystem: Kunststoffe wären nicht so gut wie heute, und viele Prozesse, bei denen Strömungen in Flüssigkeiten eine Rolle spielen (etwa in Chemie und Medizin), wären unverständlich geblieben.
Die Welt ohne GPS
Die satellitengestützte Ortsbestimmung auf der Erde GPS (Global Positioning System) nutzt Einsteins Spezielle Relativitätstheorie. Sie kommt ins Spiel, weil die Atomuhren, die an Bord von GPS-Satelliten um die Erde kreisen, aufgrund ihrer Geschwindigkeit (ca. 140.000 Kilometer pro Stunde) jeden Tag etwa sieben Mikrosekunden im Vergleich zu systemgleichen Uhren auf der Erde nachgehen. Dazu kommt aber noch der Einfluss der Erdgravitation. Atomuhren in einer Höhe von 20.000 Kilometern spüren die Gravitationskraft nur ein Viertel so stark wie Uhren auf der Erdoberfläche. Dadurch laufen die Uhren in den Satelliten 45 Mikrosekunden pro Tag schneller als die auf der Erde. Insgesamt ergibt sich also ein Unterschied von 38 Mikrosekunden pro Tag. Das erscheint wenig, umgerechnet nach Distanz würde ein GPS-System, das die Effekte der Relativitätstheorie nicht berücksichtigt, aber pro Tag eine Fehlangabe von 11 Kilometern anzeigen. Hinzu kommt auch noch, dass die Flugbahnen der Satelliten exzentrisch sind, das heißt, die Satelliten bewegen sich in einer Umlaufbahn, in der der Abstand zur Erdoberfläche und die Bahngeschwindigkeit nicht immer gleich sind. Alle Präzisions-GPS-Geräte, bei denen die Messgenauigkeit weniger als 30 Meter beträgt, müssen die Effekte der Speziellen Relativitätstheorie berücksichtigen.
Die Welt ohne Solarenergie
Ebenfalls 1905 schreibt Einstein einen Artikel, in dem er den photoelektrischen Effekt erklärt. Diese Arbeit bringt ihm im November 1921 nicht nur den Nobelpreis, sondern bildet auch die Grundlage für die Entwicklung aller Geräte, in denen Licht in Elektrizität umgesetzt wird — von der Digitalkamera bis zur Solaranlage. Ohne Einsteins Annahme einzelner Lichtquanten wäre Strom durch Sonnenlicht heute undenkbar.
Die Welt ohne Laser
In jedem CD-Player und in jeder Scannerkasse ist er eingebaut, aus medizinischen Geräten ist er nicht mehr wegzudenken: der Laserstrahl. Ein Laserstrahl bündelt einfarbiges Licht und zwar nach Prinzipien, die Einstein 1924 erkannte. Zusammen mit Satyendranath Bose entdeckte er folgendes Phänomen: Wenn man ein Lichtteilchen mit einem Überschuss an Energie auf eine große Menge Atome schickt, senden all diese Atome ein neues Lichtteilchen mit der exakt gleichen Richtung und Frequenz wie das ursprüngliche Lichtteilchen aus. Ohne diese fundamentale Idee der stimulierten Emission gäbe es den Laser nicht.
Die Welt ohne Quantencomputer
Quantencomputer, tausendmal leistungsfähiger als heutige Rechner, gibt es noch nicht. Aber Physiker träumen schon davon, dass sie die Welt im 21. Jahrhundert revolutionieren werden. Auch bei dieser technischen Revolution spielt Einstein eine Schlüsselrolle: 1935 hatte er nämlich zusammen mit seinen beiden jungen Kollegen Boris Podolsky und Nathan Rosen eine hochinteressante Arbeit veröffentlicht. Darin warfen sie die Frage auf, ob die quantenmechanische Beschreibung der Wirklichkeit vollständig sei. Die drei Autoren beschrieben ein Gedankenexperiment, in dem Teilchen manchmal zwei oder mehrere Zustände gleichzeitig haben können. Diese Zustände lassen sich aber nicht gleichzeitig beobachten. Das nach den drei Autoren benannte Paradoxon hat sich zu einem außerordentlich fruchtbaren Forschungsgebiet entwickelt: Quantencomputer nutzen die Mehrzahl der Zustände, in denen ein Teilchen sich befinden kann. Aufgrund ihrer Leistungsfähigkeit sind Quantencomputer ideal geeignet, Nachrichten zu verschlüsseln oder geheime Codes zu knacken.