Einsteins Name steht für das naturwissenschaftliche Genie schlechthin! Er hat, so glauben viele, die ganze Welt in einer einzigen Formel beschrieben. Auch wenn es physikalisch gesehen unsinnig ist, zu denken, dass eine Gleichung die ganze Welt zusammenfassen kann, für viele Menschen ist es Einstein, der das geschafft hat. Auch Menschen, die sich nicht sonderlich für Physik interessieren, haben schon einmal von der Formel aller Formeln gehört: E = mc². Warum wurden gerade diese Formel und ihr geistiger Vater zum Mythos? Was macht Albert Einstein bis heute für viele Menschen so interessant?
Einstein als Mythos, das ist mehr als die Geschichte eines Physikers mit außergewöhnlichen Begabungen. Der Mythos beginnt dort, wo Einstein als Personifizierung von Genialität, Zerstreutheit oder Skurrilität eine kollektive Bedeutung bekommt. So entstand eine bilderreiche Lebensdeutung des berühmtesten Physikers aller Zeiten. Die Legende fängt im Winter 1919 an. Die Ergebnisse der totalen Sonnenfinsternis im März haben die Richtigkeit der Allgemeinen Relativitätstheorie bestätigt. Die Zeitungen feiern weltweit den plötzlich berühmt gewordenen Dr. Einstein. Die neue Theorie habe ein altes Weltbild umgeworfen, betonen die Medien fast einheitlich. Es ist, als habe in der Physik eine Revolution stattgefunden. Dazu kommt, dass diese Theorie als mysteriöses Gedankengebäude dargestellt wird, die höchstens zwölf Männer dieser Welt verstehen können. Wo immer in der Welt Einstein erscheint, um seine Theorie zu erklären, versammeln sich die Massen voller Neugier.
Es scheint gar nicht so wichtig zu sein, den Mann mit dem legendären deutschen Akzent zu verstehen. Anders als bei der öffentlichen Demonstration von Conrad Röntgens Entdeckungen 1895 geht es bei der Relativitätstheorie und deren Präsentation nicht um eine sensationelle neue Art des Sehens, die für jeden nachvollziehbar ist. Hier geht es um unsichtbare Partikel, weit entfernte Sterne und das Große und Ganze des Universums Dinge, von denen Menschen schon seit Jahrtausenden träumen. Einstein spricht über vier Dimensionen, über Sterne, die nicht dort stehen, wo sie sich zu befinden scheinen, über Relativität, Lichtgeschwindigkeit, über Energie als Masse. Die weisen Männer der Welt nicken zustimmend. Ja, Einstein hat Recht! Er wird das Genie des 20. Jahrhunderts.
Der Mythos erzählt Einsteins Lebensgeschichte auf eine Art, die im kollektiven Unterbewusstsein zu schlummern scheint. Oft wird berichtet, Einstein sei ein langsam lernendes Kind gewesen, ein mittelmäßiger Schüler, ein abgelehnter Student. Trotzdem zeigt es der Junge später allen. Praktisch aus dem Nichts, so die Legende, präsentiert er auf einmal seine Relativitätstheorie. Doch ganz so einfach ist es nicht. Einstein hat als Kind schon ein außergewöhnliches Interesse für die Welt der Ideen. Im Alter von zehn Jahren trifft er einen 21-jährigen Medizinstudenten, für den er ein nahezu ebenbürtiger Gesprächspartner ist. Die beiden diskutieren wissenschaftliche und philosophische Themen, lesen populärwissenschaftliche Bücher und sogar Kants Kritik der reinen Vernunft.
Mit 13 Jahren stößt Einstein auf Geometriebücher und bringt sich selbst die höhere Mathematik bei. In der Schule ist er nicht schlecht, wie oft behauptet wird, sondern durchschnittlich. Und das hauptsächlich, weil er nicht mit der strengen Schuldisziplin zurechtkommt. Das Gymnasium bricht er ab, weil seine Eltern kurz zuvor nach Mailand umgesiedelt sind und er im Alter von 16 Jahren in Deutschland wehrpflichtig wird. Vor allem Letzteres ist dem Pazifisten zuwider. Einsteins Persönlichkeit fasziniert viele Menschen bis heute. Dazu tragen in besonderem Maße seine Menschlichkeit und sein politisches Engagement bei. Beispielsweise gibt er 1933 ein Violinkonzert in New York zugunsten der aus Deutschland geflohenen Wissenschaftler. 1944 schreibt er seine eigene Arbeit Zur Elektrodynamik bewegter Körper (1905) noch einmal von Hand ab, um das Dokument zugunsten der Library of Congress zu versteigern. Es bringt einen Betrag von sechs Millionen Dollar ein.
Albert Einstein lehnte den Nationalsozialismus entschieden ab. Darüber hinaus galt sein Engagement insbesondere zwei Themen, die er mit großem öffentlichen Einsatz vertrat: die Gründung eines jüdischen Staates in Palästina und den Pazifismus. Viele seiner politischen Ideen waren zu radikal und konsequent, als dass die Politik seiner Zeit damit etwas hätte anfangen können. Trotzdem wurde er gerade für seine Hartnäckigkeit verehrt und dafür, dass er kein Blatt vor den Mund nahm. Und so endet der Mythos dort, wo Einstein ein Symbol für den genialen Wissenschaftler wird, der zugleich menschlich ist und gesellschaftliches Engagement zeigt.