Wer versucht, Schamanismus zu definieren, stößt schnell an einige Grenzen. Der Begriff ist stark mystifiziert und wird von verschiedenen Personen mit völlig unterschiedlicher Bedeutung verwendet. Gerade darum stellt sich die Frage: Woher kommt der Schamanismus und welche Praktiken sind damit wirklich verbunden? Eine Einführung in eine der weltweit ursprünglichsten Religionen.
Begriffsgrundlagen
Allein, was das Wort Schamanismus genau ausdrückt, ist nicht klar zu beantwortet. Grundsätzlich gibt es hier zwei verschiedene Deutungsmöglichkeiten.
Im ursprünglichen Sinne bezieht sich Schamanismus auf diejenigen Praktiken, die im Kulturareal Sibirien ausgeübt wurden. Mit dem Beginn der europäischen Expansionszeit im 15. Jahrhundert wurden in dieser Gegend verschiedene Ethnien “entdeckt”, deren Religionen alle die Gemeinsamkeit eines Schamanen (oder jemanden, der eine solche Rolle einnahm) hatten.
In diesem Sinne handelt es sich um sogenannte ethnische Religionen. Dies sind solche, die keine allgemeingültigen Schriften oder Regeln haben und nur von Mund zu Mund weitergetragen werden. Dementsprechend bleiben sie in der Regel nur innerhalb eines Volkes bestehen.
Die andere Herangehensweise an den Begriff wäre diejenige, dass es sich beim Schamanismus um eine kulturübergreifende, weltweit grundsätzlich gültige Kernstufe einer spirituellen Religion handelt. Denn, auch wenn das Wort selbst von den (am frühesten entdeckten) sibirischen Kulturen stammt, so finden sich doch ähnliche Praktiken in Naturvölkern auf der ganzen Welt.
Entwicklung
Die Entwicklung des völkerübergreifenden Schamanismus ist bis heute nicht lückenlos nachzuvollziehen. Klar ist, dass alle sibirischen Völker bis allermindestens zum 16. Jahrhundert größtenteils unbeeinflusst von westeuropäischen Kulturvorstellungen lebten. Dementsprechend sind die Ursprünge der Naturreligionen im asiatischen Raum zu suchen – Vor allem der durchaus naturverbundene Buddhismus spielte eine große Rolle. Lebten vor dem Beginn der westlichen Zeitrechnung noch eine Menge kleiner Bauern – und Jägervölker über die sibirischen Steppen und Tundren verteilt, brachten spätestens die Mongolen vor ca. 1000 Jahren eine einheitliche und flächendeckende Variante des Buddhismus mit sich. Deren Expansion über Zentralasien setzte ihre Kultur mit den vielen einzelnen Ritualen der ursprünglichen Stämme in Verbindung. Dadurch konnten Glaubens – und Lebensweisen des ursprünglichen Buddhismus viele Völker in ähnlicher Art und Weise beeinflussen und so die Grundlage für eine Ausübung schamanistischer Praktiken über ganz Sibirien legen.
Glauben und Rituale – kulturelle Unterschiede
Diese Grundlagen des Schamanismus ist eine gemeinsame/ähnliche Kosmologie, der Fokus auf eine rituelle Ekstase und – selbstverständlich – die Existenz eines Schamanen, auf dessen Rolle im Folgenden genauer eingegangen wird.
Mit einer “gemeinsamen Kosmologie” ist der Glaube an einen bestimmten Aufbau der Welt und ihren Ebenen gemeint. Die Welt der meisten schamanistisch geprägten Völker besteht aus mindestens zwei Ebenen, der Unter – und Oberwelt, sowie eine die beiden Ebenen verbindenden Weltachse. In beiden Welten befinden sich dem Glauben nach Geister und Geistwesen ohne spezifische physische Form, die das Geschehen in ihnen beeinflussen. Der Schamane versteht sich im Bezug darauf als eine Art Magier, der in der Lage ist, mit den Geistern auf allen Ebenen zu kommunizieren und ihr Handeln zu beeinflussen. In den meisten Fällen gibt es einen bestimmten Grund für den Schamanen, mit den anderen Welten in Verbindung zu treten. Hierzu zählt alles, was für die Naturvölker mit alltäglichem Sachverstand nicht zu erklären war: Das Ausbrechen einer Krankheit, Nahrungsknappheit, lang anhaltendende Schlechtwetterlagen. Aber auch konkretere Einzelfälle wie eine Hochzeit, die Geburt eines Kindes oder ein Todesfall. Grundsätzlich versucht der Schamane also, seine Fähigkeiten der Geisterkommunikation zur Lösung spezifischer Probleme einzusetzen. Hierzu ist die rituelle Ekstase ein Schlüsselbegriff – denn hieran wird deutlich, wo die Unterschiede der verschiedenen Schamanismusformen liegen.
Grundsätzlich ist die rituelle Ekstase das Mittel zum Erreichen des Zustandes, in dem der Schamane mit der Geisterwelt interagieren kann. Dies lässt sich auch als ‘ekstatische Trance’ bezeichnen, also eine Art bewusstseinserweiternder Zustand, der vor allem das instinktive und unbewusste Denken aktiviert. Erreicht wird dieser Zustand in der Regel durch stark rituell (und kulturspezifisch) geprägte Séancen. Eine häufig auftretende Gemeinsamkeit ist hier das gemeinsame Musizieren in bestimmten Rhythmen, in einigen Kulturen ist die Trommel zentrales Symbol des Schamanismus.
Unterscheiden lässt sich zwischen zwei Zuständen: Dem Heraustreten aus dem eigenen Körper in die Geisterwelt und der Besessenheit vom jeweiligen Partnergeist. Bei ersterem werden die Körperfunktionen des Schamanen auf ein Minimum zurückgefahren, er erlebt seine Reise sehr bewusst, aber in einem Traumzustand. Diese Rituale lassen sich vor allem in Nordasien und Nordamerika finden und gelten als ursprüngliche Variante des Schamanismus in diesem Bereich der Welt. Auch ist stellvertretend, dass dort in der Regel keine bewusstseinserweiternden Drogen verwendet wurden. Das Besessenwerden ist, je nach Kultur, ein bewusst und willentlich herbeigeführter Zustand (Mittel – und Südasien) oder ein spontanes Überkommen Werden (Besessenheitskultur in Afrika). Körperlich verhält sich der Schamane dabei konträr zu einem aus sich heraus getretenen: Seine Bewegungen sind spontan, willkürlich und animalisch – hier ist auch das Einnehmen von Drogen typisch. Insgesamt zeigt sich: Die Idee einer Kommunikation mit der Geisterwelt durch einen problemlösenden Schamanen ist in Naturvölkern weltweit zu finden, die Umsetzung weicht zuweilen aber deutlich voneinander ab.
Schamanismus Heute
Die moderne Forschung zum Schamanismus hat erst in den 1950er Jahren mit der Prägung dieses Begriffes wirklich begonnen. Durch die Hippie – und Esoterikbewegungen der 50er und 60er Jahre begann gleichzeitig auch eine Verklärung des Begriffes in seiner ursprünglichen (d.h. sibirisch stämmigen) Bedeutung. Demnach sei Schamanismus vor allem eine Möglichkeit zur spirituellen Selbstfindung und zugänglich für jeden einzelnen Menschen. Aus dieser Überzeugung heraus entwickelte sich der sogenannte Neoschamanismus. Dieser orientiert sich an schamanistischen Ritualen und mischt diese mit “westlicher” Kultur und grundsätzlich spirituellen Lebensweisen.
Während das Ziel der meisten Neoschamanisten laut eigener Aussage die Wissensverbreitung von Selbstheilungsfähigkeiten ist, ist auch häufig Kritik an den modernen Erben der Naturreligionen zu hören. So sei nicht zuletzt das Verkaufen der vermeintlichen Lehren die eigentliche Motivation moderner Schamanen. Diese würden die Religion als Begriff zur Popularisierung verwenden, nicht aber wirklich von dem in ihr implizierten Glauben überzeugt sein.
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